Ratgeber

Kristina Bauerreiß | Birgit Radow

Stiftungen – Motor der Gesellschaft

Auf die sozialen Herausforderungen unserer Zeit antworten viele Stiftungen in Deutschland mit Kooperationen in Netzwerken. So lernen und profitieren alle voneinander – und ihre Projekte zeigen Wirkung.

Wir leben in bewegten Zeiten: Siebzig Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist die Verteidigung unserer demokratischen Werte wichtiger denn je. Zukunftsfragen wie Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und nicht zuletzt Migration und Flucht bringen eine Dynamik, mit der die meisten Gesellschaften, auch die deutsche, nur schwer Schritt halten. Die Folgen sind sicht- und spürbar: Segregation, Polarisierung und Populismus, Nationalismus und Abschottung, Zukunftsängste.

Das führt zu heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und schafft komplizierte Bedingungen für eine gute Integration derer, die insbesondere in den vergangenen Jahren vor Krieg, Diskriminierung, wirtschaftlicher Not oder Umweltkatastrophen flohen und Schutz in Deutschland suchten.

Sozialer Zusammenhalt

Doch bei allen negativen Tendenzen gibt es Grund zu Optimismus: Das Engagement und die Bereitschaft, sich einzubringen und aktiv für ein friedliches Miteinander einzutreten, sind in Deutschland so groß wie lange nicht. Viele merken: Es geht um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Dieser Herausforderung stellen sich auch viele Stiftungen in Deutschland.

Die mit dem Flüchtlingszustrom der Jahre 2015 und 2016 verbundenen Herausforderungen bestimmen den öffentlichen Diskurs in hohem Maße. Nach dem Ankommen geht es um die dauerhafte Integration der Menschen sowie zunehmend ihrer nachziehenden Familien. Dies ist eine große, langfristige Aufgabe.

Auch wenn die Zahl der nach Deutschland flüchtenden Menschen, nicht zuletzt wegen der restriktiveren Gesetzgebung, geringer wird: Weiterhin werden sich viele Menschen auf die Flucht begeben, weil in ihren Ländern Krieg herrscht oder sie keine Lebensperspektiven sehen. Deshalb ist ein Zuzug von flüchtenden Menschen auch in Zukunft zu erwarten – darauf müssen sich die deutsche Gesellschaft und der deutsche Staat einstellen.

Integrationserfolge

Die vielfältigen Aktivitäten von staatlichen Stellen und anderen Organisationen, Initiativen und Stiftungen in den letzten Jahren zur Unterstützung Geflüchteter zeigen beachtliche Erfolge. So gehen 95 Prozent der sechs- bis zwölfjährigen Flüchtlingskinder, die zwischen 2013 und 2016 einreisten, in die Schule. Von den Erwachsenen, die seit 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, hat etwa ein Drittel im Herbst 2018 einen Arbeitsplatz.

Daneben ist die soziale Integration von Zugewanderten im Alltag vielerorts zur Normalität geworden. Eine große Mehrheit der Personen mit Migrationshintergrund verfügt inzwischen über eher gute oder sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache, und auch bei den Geflüchteten hat sich das Sprachniveau deutlich verbessert. Diese Ergebnisse aus dem jüngsten Jahresgutachten des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigen den Erfolg der vielfältigen Anstrengungen – aber auch, was noch zu leisten ist.1

Politische Partizipation

Für viele Stiftungen ist Integration fester Teil ihrer Aktivitäten. Dabei geht es nicht nur um die Unterstützung von Geflüchteten. Es geht insgesamt um Migrantinnen und Migranten, ihre Kinder und Enkel, um Integration in das gesellschaftliche Leben in Deutschland. Denn es ist spürbar, dass die systematische Integration der Zugewanderten in den letzten zwanzig, dreißig Jahren in vielen gesellschaftlichen Feldern ausgeblieben ist.

Natürlich reduzieren Stiftungen ihre Arbeit nicht auf diese Gruppen, sondern organisieren gleichzeitig Hilfe für diejenigen, die aufgrund von Armut und vielfältig mangelnder Unterstützung nicht die gleichen Chancen auf Teilhabe haben wie andere. Verschiedene Gruppen überschneiden sich in der Praxis häufig.

Als zentrale Bereiche für gesellschaftliche Teilhabe gelten unbestritten Bildung und Ausbildung sowie der Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt. Politische Partizipation wird außerdem von Expertinnen und Experten wie jenen des SVR nicht nur als ein Indikator für die Funktionsfähigkeit von Demokratien, sondern zugleich als ein wesentlicher Gradmesser für gelungene Integration betrachtet.

Erstens: Bildung ist ein wesentlicher Schlüssel für Teilhabe und Integration. Zweitens: Demokratie ist ein komplexes Unterfangen, nicht nur für neu zugewanderte Menschen. Drittens: Benachteiligte Gruppen bedürfen einer gezielten und gleichermaßen diversifizierten Förderung.

Soziale Satzungszwecke

Die Stiftungen in Deutschland haben besondere Möglichkeiten, hier aktiv zu werden. Denn fast jeder Satzungszweck ist in Verbindung mit diesen zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bringen.

Mehr als vier Fünftel der Stiftungen in Deutschland benennen Bildung und Soziales als Satzungszweck. Ein Viertel hat den Satzungszweck Wissenschaft, ein Fünftel hat den Satzungszweck Gesundheit und Sport, etwa ein Zehntel Internationales. Diese Zahlen hat der Bundesverband Deutscher Stiftungen 2019 veröffentlicht. Mehrfachnennungen waren möglich.2

Nachhaltige Strukturen

Stiftungen arbeiten operativ und fördernd in praktisch allen gesellschaftlichen Bereichen, in der Regel agieren sie überparteilich und unabhängig. Stiftungen verfügen meist über Kontakte zu und Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen sowie mit Ministerien und Behörden und bieten wichtige Strukturen für zivilgesellschaftliches Engagement.

Wichtig ist vielen Stiftungen ein langfristiger Arbeitsansatz. Deshalb haben viele auch die Aktivitäten zur Unterstützung Geflüchteter in ihre schon längerfristig organisierten Programme eingegliedert und teilweise um Zusatzprogramme ergänzt.

Stiftungen muss es selbstverständlich darum gehen, geeignete Angebote zu machen, um ihre Zielgruppen überhaupt zu erreichen, Vertrauen und Bindungen aufzubauen und nächste Schritte gemeinsam organisieren zu können.

Die Stiftungen, die im Sportbereich aktiv sind, machen hier besonders viele Erfahrungen und geben sie auch systematisch weiter. Das gemeinsame Sporttreiben fördert soziale Kontakte, erfordert Regeln, funktioniert nicht ohne Teamgeist. Erfolge stärken das Selbstbewusstsein aller ­Beteiligten.


Demokratiebildung der Sportstiftungen

Es ist nicht verwunderlich, dass gerade Sportstiftungen in einem sehr umfassenden Sinne soziale Arbeit leisten und oft den ersten Zugang zu sozial benachteiligten Jugendlichen entwickeln. Sie können junge Menschen darin unterstützen, Bildungschancen wahrzunehmen, und sie begleiten.

Es sind in besonderem Maße auch die Sportstiftungen, die sich mit Rassismus und Nationalismus auseinandersetzen müssen und in einem erheblichen Maße Demokratiebildung leisten. Deshalb ist es sehr wichtig für alle Stiftungen, aus diesen Erfahrungen zu lernen und sie für die eigene Arbeit zu nutzen. Und es ist gut, dass immer mehr Stiftungen mit Sportstiftungen kooperieren, ihre Programme aufeinander abstimmen und so eine wirkungsvolle Unterstützung gerade für Jugendliche sind.

In der aktuellen Debatte wird von populistischen Kräften die Unterstützung für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund oftmals gegen die Unterstützung anderer Bevölkerungsgruppen ausgespielt. Deshalb ist es gut und wichtig, dass Stiftungen sich nicht beirren lassen und ihre Programme für benachteiligte Menschen, gleich welcher Nationalität, entwickeln mit jeweils spezifischen Zielgruppen, um die Wirkung der Arbeit zu erhöhen.

Patenschaftsinitiativen

Diesem gesellschaftlichen Bedarf folgen auch staatliche Förderprogramme wie beispielsweise das Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen – Chancenpatenschaften“, für das der Bundesverband Deutscher Stiftungen als eine von etwa dreißig Organisationen die Trägerschaft übernommen hat. Ziel der unterschiedlichen Patenschaftsinitiativen, die von Lesepatenprojekten über die (Aus-)Bildungsintegration bis hin zur Alltagsbegleitung ganzer Familien ein sehr breites Spektrum an Wirkungsfeldern abdecken, ist es, Teilhabechancen von Menschen mit besonderen Herausforderungen zu erhöhen – mit und ohne Fluchterfahrung. Fast 4.000 Patenschaften werden derzeit von etwa 25 Stiftungen organisiert. Und alle machen auch praktisch die Erfahrung, die wissenschaftliche Studien bereits belegten: Patenschaften sind ein besonders wirksames Instrument, um Menschen in besonderen Lebenssituationen zu unterstützen.

Breites Förderspektrum

Viele Stiftungen arbeiten schon lange und kontinuierlich an ihren Projekten, zum Beispiel zur Verbesserung der Bildungschancen sozial benachteiligter Jugendlicher. Das Spektrum reicht von Patenschaften über individuelle Förderpläne und Stipendien, Sprachförderung, Beteiligung der Eltern und kulturelle Aktivitäten bis hin zur Begleitung beim Übergang von Schule zu Beruf und Unterstützung bei der Ausbildung.

Stiftungen bieten gezielt Stipendien für das Studium von Migranten und Migrantinnen oder Jugendlichen aus benachteiligten Verhältnissen an. Andere Stiftungen engagieren sich für Demokratieförderung und gegen Rassismus und organisieren entsprechende Programme auch für Erwachsene, für kleinere Zielgruppen wie Mädchen oder Migrantinnen oder für männliche unbegleitete junge Flüchtlinge.

Vernetzung der Akteure

Dabei hat sich in den letzten Jahren eine neue Bereitschaft zur Kooperation zwischen Stiftungen ergeben. Denn: Eine Sportstiftung zum Beispiel, der es gelingt, Jugendliche aus benachteiligten sozialen Verhältnissen regelmäßig zum Training zu motivieren und dabei im Team einen Teil der Freizeit zu verbringen, ist nicht unbedingt in der finanziellen und personellen Lage und verfügt auch nicht über die Erfahrungen, für diese Jugendlichen auch weitere Bildungsangebote zu organisieren. Einer Stiftung, die langjährige Erfahrungen in Bildungsprojekten hat, fällt es dagegen möglicherweise schwer, die von ihnen angestrebte Zielgruppe tatsächlich zu erreichen. Da ist es für beide Stiftungen nützlich, Projekte gemeinsam zu planen und zu realisieren.

Von anderen lernen

Breitere Kooperationen gibt es zunehmend in noch viel größerem Umfang mit staatlichen Akteuren, mit Unternehmen, Vereinen und Privatpersonen. Es wird vielen immer bewusster: Eine Stiftung allein hat begrenztes Wissen und begrenzte Ressourcen. Wenn eine Stiftung mit ihrer Arbeit mehr Wirkung erzielen will, ist es in vielen Fällen sinnvoll, sich mit anderen zusammenzutun. Dabei geht es nicht nur um die finanziellen Mittel. Es geht auch um Austausch von Erfahrungen und Wissen, um Vernetzung der Akteure.

Nicht alles muss gleich ein Leuchtturmprojekt werden, einmalig und ganz besonders. Für die Wirkung geht es vor allem darum, aus den Erfahrungen (und Fehlern) anderer zu lernen und so das erworbene Wissen unter den jeweils eigenen Bedingungen und Zielstellungen zu nutzen. Lebens­chancen von Menschen zu verbessern erfordert nicht zuallererst lauter einzelne hochinteressante und einzigartige Projekte, sondern in der Fläche wirksame Aktivitäten. Dazu gehört die Ausbreitung der Projekte, die sich als wirksam erwiesen haben.

Darüber wird unter Stiftungsakteuren immer intensiver diskutiert. Stiftungen lernen, dass die Geförderten zunehmend an der Entwicklung oder Durchführung von Projekten beteiligt sein wollen, getreu dem Grundsatz „nicht über uns ohne uns“. Das ist zugleich ein praktischer Beitrag zur Demokratiebildung und zur Stärkung der Partizipation.

Zusammenhalt unserer Gesellschaft

Die Spaltung zwischen Arm und Reich abbauen, faire Entwicklungschancen für möglichst viele Menschen schaffen, Demokratie als Gemeinschaftsaufgabe stärken und das Grundgesetz verteidigen – das sind wesentliche Aufgaben, vor denen auch die Stiftungen in Deutschland stehen. Sie können dabei eine wesentliche Rolle spielen, weil sie oft unabhängig sind, über finanzielle Mittel verfügen, ihre Arbeit langfristig planen können und weil sie als Organisation auf Dauer angelegt sind. Diese besonderen Möglichkeiten sollten Stiftungen nutzen, um den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren und Personen zu stärken und dazu selbst einen aktiven Beitrag zu leisten.

Kristina Bauerreiß

Kristina Bauerreiß ist Referentin im Programm Chancenpatenschaften.

Birgit Radow

Birgit Radow ist stellvertretende General­sekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.

Quellen

¹ Jahresgutachten 2019 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Mai 2019.
² Bundesverband Deutscher Stiftungen, 2019.